"Es wird ein bisschen gefährlich"

Shownotes

Im dritten Teil meiner kleinen Serie über #Abtönungspartikel stelle ich unter anderem die Konstruktion „ein bisschen“ vor und warne vor dem Rückzug in’s Diffuse.

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„Es wird ein bisschen gefährlich!“

Abtönungspartikel behindern Ihren Auftritt! – Teil 3

Im dritten Teil meiner kleinen Serie über Abtönungspartikel stelle ich unter anderem die Konstruktion „ein bisschen“ vor und warne vor dem Rückzug in’s Diffuse.

Der hier folgende Text wurde sorgfältig überlegt und mehrfach korrigiert. Die Formulierungen erlauben einen Einblick in meine Denkweise und meine Haltung zum Thema, nicht aber in meine unmittelbaren Gefühle beim Verfassen dieser Zeilen. Affekte, die beim Schreiben eine Rolle gespielt haben, sind – je nach meiner Geschicklichkeit – nur noch in der von mir bestimmten Dosis erkennbar.

Bei der freien Rede, einem Vortrag oder einem Interview ist das in der Regel anders. Wer sich die Formulierungen dort nicht zurechtgelegt hat und auswendig wiederzugeben in der Lage ist, folgt dem unmittelbaren Impuls. Es gilt das spontane Wort. Der Begriff Spontanität kommt von „frei“ und „freiwillig“.Diese Freiheit dient im besten Fall einer tieferen Wahrheit. Sie bietet den Zuhörenden einen unmittelbaren Einblick in die Gefühlswelten der sich äußernden Personen und für diese die Möglichkeit, aus der Spannung und der Direktheit mehr kreative Kraft für fantasievolle, starke Formulierungen zu entwickeln. (Hier sei die Lektüre des schönen alten Textes Heinrich von Kleists empfohlen „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.) Spontane Gespräche sind oft unterhaltsam, an geschriebenen Dialogen muss man länger arbeiten, damit sie es werden.

Die unterhaltsame Spontanität ist allerdings bedroht. Das Tor zur freien, unmittelbaren Äußerung wird zunehmend gesichert durch ein kompliziertes prophylaktisches Verteidigungssystem, aufgestellt aus der Angst heraus, das Falsche zu sagen. Die Zahl der Fettnäpfe, in die man bei freier Äußerung treten kann, hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Die Angst vor dem Shitstorm oder nur der Einordnung in Kategorien, in denen man vorher gar nicht gedacht hatte, führt zu erhöhter Vorsicht, Zurückhaltung und Relativierung.

Auch wenn nicht jeder, der sich auf die Zunge beißt, vorher anderen tatsächlich Schmerzen zugefügt hat – man geht dem möglichen Konflikt möglichst weiträumig aus dem Weg.

Unter diesen Umständen spontan – also frei – zu sprechen, ist nicht leicht. Fantasievoll und direkt zu bleiben, erfordert hohe Konzentration, und das alles auch noch mit unterhaltsamer Eloquenz abzuliefern, ist hohe Kunst. Diese Kunst zu erlernen oder wenigstens zu üben, ist der eine Weg.

Die meisten Menschen reagieren auf diese Herausforderungen aber derzeit mit Rückzug. Kein Rückzug ins Schweigen – das wäre schlimm genug -, sondern in die völlige Unverbindlichkeit und Kraftlosigkeit. In das Nichtssagende.

Wer schon einmal einen Tanzkurs gemacht hat, weiß, dass der Leader (die führende Person) beim Üben besser beherzt den falschen als unsicher stolpernd den richtigen Schritt machen sollte, um mit der zu führenden Person weiterzukommen und gemeinsam zu lernen. Zaghaftigkeit bringt uns keinen Schritt weiter. Im Tanz der täglichen Kommunikation, bei dem wir idealerweise alle immer wieder voneinander lernen, sollte diese Regel auch gelten. Dies ist allerdings ein Anspruch an die Gesellschaft!

Der Einzelne, der verständlicherweise Konflikten aus dem Wege gehen will, sollte aber wenigstens nicht zaghaft, sondern vorsichtig sein.

Vorsicht ist etwas ganz anderes als Zaghaftigkeit. Der vorsichtige Mensch überlegt, bevor er spricht. Und spricht dann direkt – und verbindlich.(Um hier vorzugreifen:

Sich den Raum für diese Überlegung zu schaffen – darin besteht die Kunst.)

Der zaghafte Mensch dagegen nutzt unverbindliche Sprachfolien oder Worthülsen. Er relativiert, zaudert und verbraucht eine enorme Energie, um zu erklären, dass, was immer er meint, er irgendwie doch nicht richtig meint, denn es könnte ja falsch ‘rüberkommen. Ein sprachliches Elend!

Nehmen wir an, Sie begeben sich in einer Diskussion oder bei einer Frage auf schwieriges Terrain. „Vermintes Gelände“ sozusagen. Dabei ist es egal, ob Sie die Frage gestellt bekommen oder stellen. Im Augenblick, in dem das Thema berührt wird, werden Sie vorsichtig sein.

Und niemand wird Ihnen das verübeln!

Nehmen wir zum Beispiel an, Sie haben sich vorgenommen, für ein öffentliches Format eine Transperson zu interviewen.Das ist in unserem Alltag ein immer noch neues Thema, und die Fettnäpfe liegen eng beieinander. Kein Mensch wird von Ihnen verlangen, dass Sie sich in diesem Thema selbstverständlich bewegen – nicht einmal, wenn Sie selbst betroffen sind.Entscheidend ist die Frage: Wie bewegen Sie sich?

Wenn Sie unsicher sind, dann ist ja eines sicher: Sie sind unsicher!Und damit könnten Sie nicht nur souverän auftreten, sondern Sie teilen diese Unsicherheit auch noch mit dem Großteil Ihres Publikums, dem das Thema Transgender oder Transpersonen in der Regel ebenfalls alles andere als vertraut sein wird. Aus dieser völlig gesunden und offenen Unsicherheit heraus könnten Sie jetzt konkrete Fragen stellen. Fragen, auf die man Antworten geben kann.

Was aber in der Praxis häufig passiert, ist das Aufkeimen einer „verdeckten Unsicherheit“. Einer Unsicherheit, die nicht zugegeben, sondern weggeredet wird. Dem Zaghaften gelingen dabei absurde Konstruktionen.

Wir haben das Interview zweigeteilt. Den ersten Teil nennen wir Perspektivwechsel, weil es erhebliche Wissenslücken bei uns und vermutlich auch bei unseren Hörerinnen und Hörern gibt, die im persönlichen Umgang mit Transpersonen zu Unsicherheiten führen. Können Sie uns schildern, was die größten Missverständnisse sind, mit denen Transpersonen im Alltag konfrontiert werden?

Ich habe ein Beispiel aus einem bekannten (und sehr guten!) Podcast genommen, in dem einer der beiden an sich hochprofessionellen Betreiber des Formats eine „Transperson“ zum Interview geladen hatte.Eine Herausforderung.Und eine Möglichkeit, Fragen zu stellen, die wirklich interessieren. In seiner Einleitung hat der Interviewer vermutlich eigentlich(!) Folgendes sagen wollen: Wir haben das Interview zweigeteilt. Den ersten Teil nennen wir Perspektivwechsel, weil es erhebliche Wissenslücken bei uns und vermutlich auch bei unseren Hörerinnen und Hörern gibt, die im persönlichen Umgang mit Transpersonen zu Unsicherheiten führen. Können Sie uns schildern, was die größten Missverständnisse sind, mit denen Transpersonen im Alltag konfrontiert werden?Was dieser – wohlgemerkt wirklich erfahrene – Journalist tatsächlich gesprochen hat, war die folgende Relativierungskaskade:

„Ja, also, wir wollten das Interview so ein bisschen zweiteilen und und der erste Teil, den haben wir so ein bisschen „Perspektivwechsel“ überschrieben, weil wir so ein bisschen das Gefühl haben, dass es da doch noch erhebliche Wissenslücken, sowohl bei uns als auch bei vielen, glaub ich, unserer Hörerinnen und Hörer gibt, die auch im persönlichen Umgang mit Transpersonen dann zu Unsicherheiten führen und so. Vielleicht können Sie mal so ’n bisschen schildern, was sind denn so die … vielleicht die größten Missverständnisse, mit denen Transpersonen im Alltag konfrontiert werden?“

Der Mann brachte tatsächlich in einem einzigen Satz dreimal die Abtönung „ein bisschen“ unter, und über die Formulierung „ein bisschen zweiteilen“ dürften sich besonders Mathematiker wundern. Man kann hier im Einzelnen wunderbar das System der Konfliktvermeidung ablesen:

Zum Beispiel auf der Zielgeraden zur eigentlichen Frage: „Was sind die größten Missverständnisse…?“ Nachdem die interviewte Person schon vorab sicherheitshalber ausgebremst wurde, indem sie alles nur „ein bisschen“ schildern soll, war der Fragende schon fast auf dem Weg zu einer konkreten Formulierung: „Was sind denn die größten Missverständnisse, mit denen Transpersonen im Alltag konfrontiert werden?“ Das wäre tatsächlich eine einfache Frage geworden. Aber er hat dann doch kurzentschlossen noch ein „so“ und ein „vielleicht“ dazwischengeschaltet, denn möglicherweise würde ja die direkte Formulierung „die größten Missverständnisse“ alleine zu irgendwelchen Konflikten führen.

Die Frage, die sich hier stellt: Warum der Aufwand? Was führt zu dieser Energieverschwendung von einem Drittel zusätzlichem, unnützem Text und sinnlosen Relativierungspartikeln? Ist es Angst? Wovor?

Die Angst vor den Fettnäpfen ist nachvollziehbar! Der Angriff oder gar die Ausgrenzung durch das gesellschaftliche Rudel aufgrund falscher Formulierungen ist Realität. Aber sind wir so schwach? Sollten wir nicht lernen, damit umzugehen, ohne uns vorab prophylaktisch in die Büßerecke zu begeben und zu versuchen, uns mit sprachlichem Müll zu immunisieren?

Nun könnte man sagen: So what? Ist doch egal. Wem schadet denn diese Vorsicht? Das ist eine berechtigte Frage.

Der wertschätzende Umgang miteinander, die Achtung vor der anderen Person, ist wichtig. Aber die vorauseilende Flucht in’s Diffuse hat mit Wertschätzung wenig zu tun – im Gegenteil: Das Gegenüber wird zum Hilfsbedürftigen degradiert. Betreutes Fragen.

„Ihr müsst nicht höflich zu mir sein!“ hat Wolf Biermann seinen West-Fans 1976 in Köln zugerufen, nachdem sie den damaligen Noch-Ossi auch bei seinen umstrittensten Äußerungen fröhlich beklatscht hatten. Er forderte damit einen Dialog auf Augenhöhe.

Ein aufgeweichter, jeden möglichen Konflikt umschiffender Dialog betrifft nicht nur, die Personen, die ihn führen. Dieser Nebel legt sich langsam über die gesamte Kommunikation in unserer Gesellschaft. Stichwort: Alles Gut!“ Aber unter dieser Oberfläche keimt langsam das Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Nach irgendetwas Konkretem und Greifbaren. Und aus der diffusen Zähigkeit kriechen dann Redner und Rednerinnen hervor, die auftreten und das Falsche sagen:

das aber geradeheraus und eindeutig.

Und da wird es dann richtig gefährlich!

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